
St. George’s Day: Ein Tag für England
Am 23. April feiert England seinen Schutzpatron – St. George. Der Tag ist keiner der lauten Nationalfeiertage, kein Fest der Massen, kein Spektakel im Sinne moderner Inszenierungen von Identität. Und doch haftet ihm eine stille Würde an, ein Echo jener alten Rituale, in denen Geschichte und Mythos unauflöslich ineinandergreifen.
Ein Heiliger aus dem Osten – ein Symbol des englischen Westens
Der heilige Georg, ein römischer Offizier aus Kappadokien, lebte vermutlich im 3. Jahrhundert. Seine Verehrung als Märtyrer beginnt früh, doch es ist das Mittelalter, das ihn zum Drachentöter stilisiert – zur ikonischen Figur, die das Böse bezwingt, das Licht gegen die Finsternis stellt. England übernimmt diesen Mythos im 12. und 13. Jahrhundert, als Kreuzfahrer die Figur aus dem byzantinischen Kulturraum mitbringen.
König Eduard III. schließlich erhebt George 1348 zum Schutzpatron des neu gegründeten Hosenbandordens – jenem exklusiven Ritterorden, der bis heute den innersten Kern britischer Eliten symbolisiert. Damit ist George nicht nur heiliger Fürsprecher, sondern auch Ausdruck einer höfischen, disziplinierten Staatsidee.
Nationaler Tag ohne Nationalfeiertag
Anders als der St. Patrick’s Day in Irland oder der St. Andrew’s Day in Schottland besitzt der St. George’s Day in England keinen Status als gesetzlicher Feiertag. Er ist präsent – und zugleich beinahe diskret. Die weiß-roten Fahnen mit dem Georgskreuz wehen an öffentlichen Gebäuden, einige Kirchen halten Gottesdienste, und die Royal Society of St. George erinnert mit Empfängen und Reden an die historische Bedeutung des Tages.
Doch gerade in dieser Zurückhaltung liegt eine besondere Eleganz. Der Tag wird nicht zelebriert, sondern gewürdigt – in jenem Ton zwischen Ernst und Andacht, der der englischen Kultur zu eigen ist, wenn sie sich auf ihre tiefsten Wurzeln besinnt.
Ein Tag, zwei Gestalten: St. George und William Shakespeare
Dass der St. George’s Day mit dem Geburtstag und dem Todestag William Shakespeares zusammenfällt – beide am 23. April –, verleiht dem Tag eine zweite Dimension. Hier treffen sich Geist und Glaube, Dichtung und Dogma. Kein Wunder, dass Heinrich V. in Shakespeares gleichnamigem Drama seine Soldaten zur Schlacht mit dem berühmten Ausruf ruft: “Cry God for Harry, England and Saint George!” – eine Szene, die bis heute als rhetorischer Inbegriff des englischen Nationalgefühls gilt.
Das Maß der Dinge
In Zeiten, in denen Identität oft schrill verhandelt wird, erinnert der St. George’s Day an eine ältere Form nationalen Selbstbewusstseins. Nicht aggressiv, nicht demonstrativ – sondern getragen von einer tiefen historischen Verankerung, die aus Legende und Loyalität, aus Geschichte und Geist gewoben ist.
Er ist ein Tag des Maßes – englisch im besten Sinne.
